Haiti (Foto: Alex Proimos)
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Am 3. März 2024 rief die Regierung von Haiti angesichts bewaffneter Banden, die das Nationalgefängnis in der Hauptstadt Port-au-Prince gestürmt hatten, einen 72-stündigen Ausnahmezustand aus.
Die Situation im Inselstaat Haiti verschlechtert sich zusehends, wobei die Arbeit der Seelsorge durch Gewaltakte und eine Vielzahl von Entführungen stark beeinträchtigt wird. Dennoch trotzen Gläubige den Gefahren, um ihren Glauben zu praktizieren. «Kirche in Not (ACN)» führte ein Gespräch mit Max Leroy Mésidor, dem Erzbischof von Port-au-Prince und Vorsitzenden der haitianischen Bischofskonferenz, über die Lage der Kirche in seinem Land.
Bereits seit einigen Jahren herrscht in Haiti eine massive Instabilität. Die Gewalt nimmt von Tag zu Tag zu. Manche Menschen sprechen von bürgerkriegsähnlichen Zuständen…
Ja. Es besteht wirklich die Gefahr des Ausbruchs eines Bürgerkriegs im Land. Die bewaffneten Gangs treten wie eine organisierte Armee auf. Sie sind sehr gut ausgerüstet. Die Polizei kann da nicht mithalten. In manchen Regionen, zum Beispiel in meinem Gebiet, gibt es Gruppen, die versuchen, den Gangs entgegenzutreten. Es kommt also häufig zu Auseinandersetzungen zwischen diesen Gruppen und den Gangs, aber auch zwischen der Polizei und den Gangs. Es sind sehr viele Waffen im Umlauf. Ja, es ist wie ein Bürgerkrieg.
Gibt es im Land noch Regionen, die eher sicher sind?
Es gibt keinen wirklich sicheren Ort. Die drei am meisten betroffenen Départements sind Ouest, Centre und Artibonite. Es gibt jedoch Gruppen, die sich so ziemlich überall niederlassen. In manchen Vierteln in der Provinz etablieren sie einen Bandenchef, und wenn dieser dort Fuss gefasst hat, weiten sie ihr Machtgebiet aus. Kein Département bleibt also verschont, doch einige Gebiete sowie die Städte und die grossen Verbindungsstrassen sind den Gangs stärker ausgesetzt. Es ist beispielsweise sehr kompliziert, aus der Hauptstadt Port-au-Prince herauszukommen.
Max Leroy Mésidor, dem Erzbischof von Port-au-Prince und Vorsitzenden der haitianischen Bischofskonferenz (Foto: Bischofskonferenz von Haiti)
Damit war gemeint, dass Entführungen allgegenwärtig sind und Menschen unabhängig von ihrem sozialen Status oder Bildungsgrad betreffen. Es ist eine herrschende Plage, die das Leben der Haitianer erstickt und bekämpft werden muss.
Es begann 2021 mit den ersten Entführungen von Geistlichen und hat seitdem zugenommen. Allein im Januar wurden sechs Ordensschwestern entführt, gefolgt von sechs Ordensbrüdern und einem Priester im Februar. Am 1. März wurde ein weiterer Priester entführt. Die sechs Ordensbrüder sind immer noch in der Gewalt der Entführer. Die Kirche lässt ihre Brüder und Schwestern jedoch nicht allein. Auch viele Ärzte werden entführt.
Ich befinde mich nun am Anfang meines sechsten Jahres als Erzbischof in Port-au-Prince, und die Lage ist äusserst komplex. Bis jetzt konnte ich nur einen Bruchteil dessen umsetzen, was ich eigentlich vorhatte, weil der Alltag von Leid, Gewalt, Schusswechseln, Armut und Entbehrungen geprägt ist. Das ist sehr belastend und erfordert eine stabile Psyche. Doch wir Bischöfe versuchen zusammenzuarbeiten und gemeinsam Zeugnis abzulegen. Es ist eine schwierige Situation, aber wir sehen es als unsere Pflicht an, unser Kreuz zu tragen und Christus insbesondere in der Fastenzeit zu folgen. Wir halten durch und vertrauen auf Gebete und Solidarität.
Sehr stark! Insbesondere in Port-au-Prince. Zwei Dritteln meiner Diözese kann ich keine Besuche abstatten, weil der Zugang blockiert ist. Um in den Süden der Diözese zu gelangen, muss ich das Flugzeug nehmen. Seit zwei Jahren bin ich nicht in der Kathedrale gewesen: Einmal, als ich in meinem Büro war, gab es viele Schüsse, und ich musste vier Stunden lang dort ausharren, bevor ich es verlassen konnte, um die Messe zu feiern. Kugeln trafen das Fenster meines Büros. Das letzte Mal, dass ich den Gottesdienst in der Kathedrale feiern konnte, war bei der Chrisam-Messe. Sie war voll, es waren 150 Priester dort, zahlreiche Ordensleute und viele Gläubige. Währenddessen ertönten vom Agnus Dei bis zum Ende des Gottesdienstes Schüsse; man sah ganz in der Nähe Rauch aufsteigen. Seitdem konnte ich nicht mehr in die Kathedrale oder in mein Büro im Erzbistum zurückkehren.
Haiti (Foto: U.S. Government / U.S. Marine Corps)
Angst durchdringt jeden Bereich, selbst unter den Ordensleuten. Verlassen sie einmal Port-au-Prince, sind sie in Gefahr. Das Priesterseminar befindet sich in einem Viertel, das häufig Schauplatz von Schießereien und Auseinandersetzungen ist. Die Banden gehen sogar soweit, in Kirchen einzudringen, um Menschen zu entführen. Einige Gemeinden wurden geschlossen, weil die Pfarrer fliehen mussten. Letzte Woche musste ein Pfarrer mit einigen Gläubigen fliehen und sie waren 15 Stunden lang zu Fuss unterwegs!
Unser Volk ist lebenswillig und widerstandsfähig, auch im Angesicht des Leidens, das derzeit ein unerträgliches Ausmass annimmt. Die Seminaristen und Katecheten sind entschlossen, ihre Mission zu erfüllen. Deshalb bleiben sie hier, trotz aller Gefahren. Die Mission ist für sie existenziell. Kürzlich habe ich ein Treffen für pastorale Mitarbeiter organisiert. Ich erwartete 120 Teilnehmer, aber am Ende kamen 220. Diejenigen ohne Platz standen einfach da. Sie wollen dabei sein, um mit dem Bischof etwas zu lernen. Sie trotzen allen Gefahren, um teilzunehmen.
Die Menschen leben und praktizieren ihren Glauben trotz allem. Selbst nach Schiessereien im Viertel ist die Kirche am nächsten Tag voll. Menschen besuchen Kranke trotz der Gefahren. Bei Prozessionen oder dem Kreuzweg, selbst im Stadtzentrum von Port-au-Prince, versammeln sich bis zu 50.000 Menschen. Manchmal bin ich sprachlos.
Die Kirche muss trotz aller Hindernisse weiterhin die Menschen vereinen. Durch Predigten und Retreats für junge Menschen versuchen wir, ihre Hoffnung zu erneuern, sie zu motivieren und zu organisieren, damit sie nicht resignieren. Die Kirche setzt ihre Mission fort, wann immer es möglich ist. Aber es ist nicht einfach. Das Motto lautet: Ein Tag nach dem anderen!
Einige Gemeinden können sich mehr oder weniger über Wasser halten. Für die meisten ist es jedoch sehr schwierig. Die Priester erhalten kaum Gehalt und viele Gläubige sind verarmt. Die wohlhabenden Menschen haben das Land verlassen. Uns fehlen nahezu jegliche Einkünfte. Ohne die Hilfe von «Kirche in Not (ACN)» wäre es für die Kirche extrem schwierig, weiterzumachen. Dank «Kirche in Not (ACN)» halten einige Gemeinden durch und wir können Ausbildungen für Gläubige und Seminaristen sicherstellen, was ihnen Hoffnung gibt.
«Kirche in Not (ACN)» leistet in Haiti viel für uns. Ich danke allen Spenderinnen und Spendern von Herzen. Wir denken an sie in unseren Gebeten und bitten den Herrn, sie zu schützen. Bitte vergessen Sie uns nicht. Gott segne Sie!
Im vergangenen Jahr hat «Kirche in Not (ACN)» die Kirche in Haiti mit ca. 60 Projekten unterstützt. Bei den Projekten handelt es sich unter anderem um die Unterstützung der Ausbildung von Seminaristen, Ordensleuten, Katecheten und Laien, Programme für Jugendliche und Binnenflüchtlinge, die Ausstattung von drei Diözesanradiosendern und die Einrichtung von Solaranlagen, unter anderem für die haitianische Bischofskonferenz und das Bischofshaus in Port-au-Prince, sowie für Exerzitien und Mess-Stipendien für Priester und Nothilfe für Ordensschwestern.
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