Skip to navigation (Press Enter) Skip to main content (Press Enter)

Einsiedeln: „Daraus könnte ein neues Europa entstehen“

Das internationale katholische Hilfswerk «Kirche in Not (ACN)» lud am Sonntag, 15.05.2022, zur Wallfahrt nach Einsiedeln ein. Bischof Bohdan Dzyurakh aus der Ukraine war Hauptzelebrant im Pontifikalamt. Danach versammelten sich die Gäste im Kultur- und Kongresszentrum ZWEI RABEN zu einem Podium zum Thema „Unermessliches Leid in der Ukraine: Folgen für die Kirche?“

Fotogalerie

Bischof Bohdan Dzyurakh findet emotionale Worte für das, was derzeit in seinem Land passiert: «Meine Heimat, mein Volk, erleben seit dem 24. Februar einen endlosen Karfreitag. Ein Ende ist nicht abzusehen. Ein Alptraum, an den man noch vor drei Monaten nicht glauben wollte, wurde Wirklichkeit.» Er und seine Freunde stehen fassungslos vor diesen Bildern und vor diesem Leid.

Seit 1953 in der Ukraine präsent
Vor dem Podium im Kongresszentrum «Zwei Raben», das unter dem Thema «Unermessliches Leid in der Ukraine: Folgen für die Kirche?» steht, geht Jan Probst, Geschäftsführer von «Kirche in Not (ACN)» CH/FL auf die Arbeit des Hilfswerkes ein. ««Kirche in Not (ACN)» unterstützt weltweit unzählige Ordensleute, damit sie an Orten wirken können, wo sonst niemand hinschaut.» Diese Arbeit leiste das Hilfswerk seit 1953 auch in der Ukraine. «Sie ist bis heute die grösste Wohltäterin der ukrainischen Kirche geblieben.»

Jemand, der die Hoffnung auf Frieden nicht aufgibt, ist Stanislaw Szyrokoradiuk, Bischof von Odessa. Er hat eine Grussbotschaft an die Tagungsgäste in Einsiedeln gesendet. In seinem Video sagt er: «Die Kirche hilft vor Ort so gut wie möglich. Diese Hilfe ist auch dank der Unterstützung von «Kirche in Not (ACN)» möglich.»

«Ein grosses Evangelium»
Magda Kaczmarek, Ost-Europa-Expertin bei «Kirche in Not (ACN)» International, kommt gerade aus dem Kriegsgebiet der Ukraine zurück. Auf ihre Ausführungen sind die Anwesenden im Kongressaal besonders gespannt: «Der Osten der Ukraine wurde so bombardiert, dass die Menschen dort plötzlich in einer anderen Welt waren», sagt sie. Während viele flüchten, harren die meisten Priester und Bischöfe bei den Menschen aus. Auch wenn die pastorale Seelsorge nicht stattfinden kann. Magda Kaczmarek berichtete vom Bischof aus Charkiw, der dort die Menschen in der U-Bahn-Station besucht und ihn seelsorgerlich hilft. Sie berichtete von Ordensfrauen, die Flüchtlinge in ihren Klöstern aufnehmen. «Die katholische Kirche ist wirklich mit Abstand diejenige Institution, die die meisten Flüchtlinge aufnimmt», sagt die gebürtige Polin.

Die Hilfe, die die Menschen in der Ukraine durch die weltweiten Spenden bekommen, sei enorm. Vor allem aber helfen sich die Menschen in der Ukraine auch gegenseitig. «Da passiert gerade ein grosses Evangelium.»

Sprachlosigkeit, Gebet, Solidarität
Beim anschliessenden Podium will Moderator Stefan Kube von seinen Gästen als erstes wissen, wie sie den Beginn des Krieges erlebt haben. Bischof Bohdan Dzyurakh sagt: «Nach der Wende waren es Kirchen und Tankstellen, die neu aufgebaut wurden. Jetzt zu sehen, dass nach 30 Jahren wieder Kirchen zerstört werden, macht mich enorm traurig.»

Abt Urban Federer sagt: «Mir ging es wie den meisten hier im Saal. Wir waren am Anfang sprachlos, weil wir hier im Westen nicht so richtig mitbekommen haben, was wirklich abgeht in der Ukraine.» Zwei Dinge hätten ihm geholfen, dieses Ereignis zu verarbeiten. Zum einen sei da der Umstand, dass man selbst anpacke und Flüchtlinge aufnehme. Und zweitens sei da das Gebet um den Frieden. Und natürlich die Kraft der schwarzen Madonna.

Schon bei früheren Fluchtbewegungen habe er zudem gemerkt, welche Bedeutung die schwarze Madonna von Einsiedeln für Geflüchtete habe. «Man konnte ihnen immer sagen: Das ist eure Mutter.» Gerade bei den orthodoxen Christen merke er, wie gerne sie zur schwarzen Madonna von Einsiedeln kommen. «Sie hat diese mütterliche Funktion, die wir für den Frieden brauchen.»

«Noch ein langer Prozess»
Auf den Bildern werden Fälle gezeigt, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft einander helfen. Entsteht da, will Moderator Stefan Kube wissen, ein neues ökumenisches Miteinander? Magda Kaczmarek bleibt skeptisch; „Viele Menschen haben durch den Krieg noch viele tiefe Wunden in sich. Und das erlaubt noch nicht zu verzeihen. Für die Ökumene aber ist die Versöhnung eine wichtige Voraussetzung.» Das sei noch ein langer Prozess.

Für Bischof Dzyurakh liegt Helles und Dunkles nahe beieinander: „Ein Zeitzeuge hat mir gesagt: Sogar unter den Deutschen während des zweiten Weltkrieges war es nicht so schlimm, wie jetzt. Ein anderer sagte: So eine Gastfreundschaft habe ich noch nie in meinem Leben erfahren.»

Deshalb sei die Liebe, so der Bischof, «die beste Predigt des Evangeliums.» Oft spreche man jetzt über den Karfreitag. Er erlebe aber auch sehr viele Ostermontag-Erlebnisse. «Die Liebe ist stärker als der Hass. Das Leben wird eine Zukunft haben. Wir als Gläubige erwarten das Leben in der Fülle. Wenn wir davon etwas vermitteln können, dann spürt unser Gegenüber etwas vom ewigen Leben.»

«Ein neues Europa kann entstehen»
Bischof Bohdan Dzyurakh spricht immer wieder von Zeichen der Hoffnung. Das sind für ihn vor allem die Menschen aus der Ukraine. «Diese Leute, die jetzt zu uns geflüchtet sind, bringen viel mit. Wir spüren: Sie stehen für Wesentliches ein, nämlich für Würde und Freiheit. Für diese Dinge, das wissen sie, kann man sterben.» Wenn er jetzt dies Welle der Solidarität in Europa für sein Land sehe, dann wage er zu behaupten: «Inmitten dieses Leides kann ein neues Europa geboren werden. Ein Europa der Werte, und nicht der Interessen.»

Die Seelen heilen?
Für Magda Kaczmarek braucht es dafür Aufbauarbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Nach dem Fall des Kommunismus vor 30 Jahren, sagt sie, habe man bei «Kirche in Not (ACN)» gesagt: «Jetzt müssen wir nicht mehr in die Steine investieren, sondern in die Köpfe.» Jetzt gehe es erneut nicht nur um die Köpfe, sondern auch die Seelen der Menschen. «Wir wissen jetzt schon, dass die Menschen in der Ukraine nach dem Krieg in ein tiefes Loch fallen werden.» Es gehe dann auch darum, die seelischen Wunden zu heilen. «Wir als «Kirche in Not (ACN)» sind dann stark gefordert, ihnen zu helfen.»

Bischof Dzyurakh erhält eine kleine Holzstatue, die den heiligen Bruder Klaus darstellt und zwei Wanderstöcke. Lucia Wicki-Rensch, Öffentlichkeitsreferentin bei «Kirche in Not (ACN)», wird in den Ruhestand verabschiedet. Jan Probst beschreibt sie als unsere «Turbine». Sie bleibt «Kirche in Not (ACN)» jedoch erhalten und arbeitet auf Mandats-Basis weiter. Jede helfende Hand ist in dieser Zeit nötig.

«Kirche in Not (ACN)» unterstützte die Ukraine seit dem 24.02.2022 mit mehr als CHF 3 Millionen.»